Zum 1. Todestag von Gody Bodmer, Journalist und Liedermacher von Uster schreibt
Raymond Diebold-Schmid im Jahre 1998:
Fortsetzung
Von der Mutter das Singen gelernt
Gottfried Konrad Bodmer wurde am 5. Mai 1941 als
letztes von drei Kindern des Ernst Bodmer und der Lydia Bodmer-Kirchhofer
geboren. Aus einer ersten Ehe stammten noch zwei andere Geschwister. Die Familie
bestand also aus sieben Personen, wobei alle Geschwister von Gody fünf bis
fünfzehn Jahre älter waren als er. Gody wuchs in Wangen b. Dübendorf auf, wegen
des Altersunterschiedes zu seinen Geschwistern sozusagen als Einzelkind. Die
Primar-, Real- und Sekundarschulen besuchte er in Dübendorf und Schwamendingen,
wo sich seine Familie für längere Zeit niedergelassen hatte. Sein Vater war
Polier, seine Mutter, eine ausgebildete Sängerin, führte ein hartes, religiöses
Regime. Im Zentrum des Geschehens stand die neuapostolische Kirche, in der Gody
als Chorsänger öfters Soloeinsätze hatte. Wegen seiner «Hasenscharte»
(Gaumenspalte), die ihm in jungen Jahren keinen vorteilhaften Ausdruck verlieh
(später überdeckten Schnauz und Bart diesen Geburtsfehler) und zu Sprachfehlern
führte, wurde er von anderen Kindern öfters gehänselt.
Schon als Kind führte Gody das Leben eines
Aussenseiters. Mit abenteuerlichen Geschichten versuchte er sich bei den
Mitmenschen Aufmerksamkeit und Respekt zu verschaffen. Als Sechsjähriger
erzählte er, dass er von einem Militärpiloten zu einem Flug mit der Venom
mitgenommen worden sei. Da Gody in seiner Freizeit Stunden am Militärflugplatz
zubrachte, ist diese Geschichte durchaus möglich. Später hat er dieses Erlebnis
dann aber soweit verinnerlicht, dass er behauptete, als Militärpilot ausgebildet
worden zu sein, was das Eidgenössische Militärdepartement allerdings nicht
bestätigen konnte.
Geschmückte Geschichten
Seine Fabulierkunst und die Fähigkeit, aus
einfachen Geschehnissen ein zeitgeschichtliches Ereignis zu verdichten,
entfremdeten ihn von seiner eigenen Familie, brachten ihm aber auch neue
Freunde. Sein fünf Jahre älterer Bruder Karl erinnert sich, dass Gody bei den
Familientreffen die Geschwister und Eltern jeweilen um einen Tisch versammelt
habe, um ihnen die neuesten Stories zu erzählen. Als er 1986 zu spät zum 50.
Geburtstag von Bruder Karl erschien, entschuldigte er sich mit dem Hinweis, der
Jungfernflug der Concorde aus Paris, mit der er als Journalist mitgeflogen sei,
habe Verspätung erlitten. Von diesem Moment an brach der Kontakt mit seiner
Familie ganz ab. Mit seiner dominanten Mutter, die gemäss Bruder Karl gerne als
Selbstdarstellerin auftrat, hatte er wegen seiner massiven Geldprobleme und des
unsteten Lebens schon immer ein gespaltenes Verhältnis, währenddem er mit seinem
«leicht introvertierten» Vater eine lose Verbindung aufrecht erhalten konnte.
Seine unterhaltsamen Geschichten verbreitete Gody in späteren Jahren nicht mehr
am Familientisch, sondern am Stammtisch des Wirtshauses, wo er Ereignisse und
philosophische Wahrheiten in verblüffender Weise verknüpfte und bald den Nimbus
eines Allwissenden erreichte.
Jobs aus dem Nichts
Sein witziger Charme, seine
Begeisterungsfähigkeit und seine Konzentrationsfähigkeit in entscheidenden
Momenten öffneten Gody immer wieder die Türen für unerwartete Freundschaften und
Einstiege in berufliche Karrieren. Uschi Bodmer, die zweite Ehefrau von Gody
(1974-1980), erinnert sich, dass er «von Null auf Nichts» zu neuen Jobs kam. Er
hatte «sensationelle Anfangserfolge, dann aber auch wieder schnelle Einbrüche».
Nach der Lehre als Plandrucker betätigte sich Gody Bodmer mehrere Jahre als
Autoverkäufer in der Stadt Zürich und im Glattal. Später wechselte er die Jobs
immer häufiger. Krankenpfleger, Hausmeister, Werbetexter, Plakatkleber u.a.
gehörten zu seiner Sammlung. Seine Abschiede waren oft abrupt und für
Aussenstehende nicht nachvollziehbar. Sein Weggang hatte meist demonstrativen
Charakter, wie zum Beispiel in den Jugendjahren, als er mitten aus einer
Chorprobe lief und die Notenblätter wegwarf. Auch später hatte Gody Mühe,
Entscheide zu akzeptieren, die ihm im Innersten widersprachen. Und wer es wagte,
ihm einen Fehler vorzuhalten, der musste damit rechnen, dass er ihn mitten im
Gespräch verliess.
Doppelter Engel und «Bernhard»-Apero
Ende der Siebziger Jahre intensivierte Gody
seine Leidenschaft fürs Schreiben und Texten von Liedern. In dieser Zeit gelang
ihm der Zugang zum Schweizer Fernsehen. Zusammen mit Hans Gmür und Charles
Lewinsky lieferte er die Texte für den «Doppelten Engel». In dieser Sendung
traten Berühmtheiten aus dem Showbusiness auf, die Gody nebenbei betreute. In
kurzer Zeit hatte Gody Kontakt zu den Liederkreisen um Jakob Stickelberger und
Showgrössen wie den Startenor Rudolf Schock. Hans Gmür verhalf ihm auch zu einem
Auftritt im «Bernhard»-Apero, wo er mit seiner Gitarre als Nachwuchstalent einen
Abend bestreiten konnte.
Körperliches und psychisches Leiden
Im Jahre 1980 erlitt Gody bei einem
Fallschirmabsprung eine schwere Rückenverletzung. Anfängliche
Lähmungserscheinungen konnten bei einem Kuraufenthalt in Basel behoben werden.
Gody verfiel darauf in eine depressive Phase, die eine therapeutische Behandlung
notwendig machte. Die Versicherung attestierte Gody schliesslich wegen der
körperlichen Schwächen und der psychischen Instabilität eine 50prozentige
Arbeitsunfähigkeit. Dank der Invalidenrente konnten feste Verpflichtungen wie
Miete und Alimente künftig direkt bezahlt werden. Dieser Umstand ermöglichte es
Gody, sich vermehrt seinen kreativen Fähigkeiten zu widmen. Er begann seine
journalistischen Einsätze für den «Anzeiger von Uster» und schrieb für
Privatpersonen. Manche politische Rede oder Jubiläumsansprache hatte ihren
Ursprung bei Gody Bodmer. Er schrieb Texte für das Trio Eugster, verfasste die
Chronik für das Hotel Schweizerhof in Uster, sprach Texte für den Werbefilmer
Urs Jenny in Uster oder dichtete Fasnachts-Schnitzelbänke für die «Humoria».
Bevor Gody Bodmer beim «Anzeiger von Uster» zum
Markenzeichen wurde, war er in den 80er Jahren in Uster bereits als «komischer
Kauz» oder als Lebenskünstler bekannt. Er zeigte sich immer in Begleitung seines
buschigen und gemütlichen Hundes, eines Spaniels. Die schwarzweisse Hündin Diana
gehörte zu Gody wie später Kamera und Schreibzeug. Der Tod seiner geliebten
Hündin setzte Gody vermutlich ebenso zu wie andere persönliche
Schicksalsschläge.
Bericht-Erstatter und Informant
Gody erzählte nicht nur bedeutungsvolle
Geschichten. Er fand auch schnell das Vertrauen von Lokalpolitikern und anderen
Dorfgrössen, die ihm ihre eigenen Erlebnisse und Gedanken vermittelten. So
wurden die Stammtische des «Salmen» und des «Falken» zum neuen Zuhause von Gody
und Gody selber zu einem unentbehrlichen Bericht-Erstatter für den «Anzeiger von
Uster» - so wie es der Bedeutung dieses Wortes entspricht. Dabei konnte Gody
sehr wohl zwischen Facts und Gerüchten unterscheiden. Oft schrieb er gar keinen
Artikel, sondern informierte die Redaktion über die neuesten Entwicklungen in
Gewerbe- und Vereinskreisen. Diese begann dann etwas genauer zu recherchieren
und konfrontierte Betroffene mit dem «Gehörten». Obwohl nie Namen genannt
wurden, war immer klar, wer die Geschichten in Umlauf gebracht hatte. Gody half
auch bei vielen Werbeaktionen des AvU tatkräftig mit. Für ihn war es ein
Kinderspiel, Originale und Persönlichkeiten für den Werbefilm des AvU an der
Uster Messe 1988 einzuspannen. Mit seinem Engagement und den vieldeutigen
Kommentaren verhalf er dem «Anzeiger von Uster» zu einem «Wir-Gefühl», das dem
Verlag und der Redaktion den Zugang zum Ustermer Lesermarkt wesentlich
erleichterte.
Gody als Liedermacher
Parallel zur journalistischen Tätigkeit trat
Gody mit seiner Gitarre als Liedermacher auf. 1988 gründete er zusammen mit der
Winterthurerin Giannina Tenti und dem Ustermer Alfonso Pezzola das «Sentimental
Trio», das bekannte Lieder («Ohrwürmer») in Dialektform sang. Für alle Lieder
schrieb Gody völlig neue Texte, die er meistens dem familiären Anlass anpasste.
Mit seinen Liedern war Gody erst zufrieden, wenn das Ende in einem dramatischen
Finale mündete. Seine leicht depressive Stimmung zeigte sich darin, dass er erst
richtig schreiben konnte, wenn er etwas vermisste. Die Lieder mussten seinem
inneren Gefühl entsprechen, deshalb weigerte er sich standhaft, öffentlich ein
Lied in der Originalform nachzusingen.
Mister «Anzeiger von Uster»
Weil Gody Bodmer für die Redaktion immer und
überall zur Verfügung stand, entwickelte er sich zu einem «Mädchen für
Alles-Reporter», zum Joker schlechthin, bei dem auch der Kameraeinsatz nie
fehlte. Persönlich engagierte er sich für die Vereinsszene, im besonderen für
den Judoclub und den Reitverein. Mit dem Trainer des Judoclub, Cere Gauch,
verband ihn eine enge Freundschaft, und es ist ohne Zweifel auch das Verdienst
von Gody Bodmer, dass der Judoclub in Uster salonfähig wurde. Für einen
einfühlsamen Bericht über den Judosport mit Behinderten erhielt er eine
Auszeichnung des Zürcherischen Journalistenvereins. Beim Reitverein konnte Gody
seine spezielle Beobachtungsgabe mit seiner Tierliebe verbinden. Seine
symbolträchtige Sprache fand hier fruchtbaren Boden. Pferd und Reiter wuchsen zu
einer Einheit, in der die Leiden der Pferde plötzlich menschliche Züge annahmen.
Kommentare zum Wochengeschehen
Zu einem Markenzeichen wurden seine
Kommentare über die Geschehnisse der Woche. Vor der Namensänderung in die
«Regionalzeitung» hiess die Glosse in Anlehnung an den kritischen Wermatswiler
Bauern «Kleinjogg». Später fasste Gody seine Gedankengänge und Erlebnisse unter
«Göpfis Wochengekritzel» zusammen. «Göpfi» hiess diese Kolumne, weil der AvU in
seiner Vorwärtsstrategie den legendären «Ustermer Öpfel» als Symbol gewählt
hatte. Im Stile eines naiven Beobachters und Hofnarrs gelang es Gody immer
wieder, Stimmungsbilder des «einfachen Volkes», zu dem er sich zählte,
wiederzugeben und philosophische und moralische Fragen aufzuwerfen, über die man
nachdenken musste. Unvergesslich bleiben auch die Kommentare als «Gusti
Stumpenhofer» 1993 über die Ski-WM im japanischen Morioka, in denen er den
Stammtischgesprächen über die langweiligen nächtlichen Fernsehbilder (meist
mussten die Skirennen wegen schlechter Witterung verschoben werden) zu neuer
Blüte verhalf.
Spezielle Beachtung fanden seine einfühlsamen
Weihnachtsgeschichten in Mundart, die beim «Anzeiger von Uster» während neun
Jahren als Sonderseite einen Ehrenplatz belegten. Hier konnte Gody seine Neigung
als poetischer Schriftsteller und Geschichtenerzähler ausleben. Spätestens hier
hätte ein aufmerksamer Kinderbuch-Verleger das unerschöpfliche Reservoir von
Godys Fabulierkunst entdecken müssen. Aber auch diese Ernte konnte Gody nicht
einfahren. Beim Lesen dieser Geschichten gewinnt man den Eindruck, dass Gody aus
seinen Talenten zu wenig gemacht hat.
Stammtisch als Quelle und als Verhängnis
Die Stammbeizen von Uster waren für Gody das
Zuhause und die Quelle, wo er Nahrung für seine Geschichten fand und seine
eigene Welt aufbaute. Doch der Stammtisch wurde Gody auch zum Verhängnis. Der
Alkoholkonsum «vernebelte» gelegentlich seine Klarsicht für die Zeitungsartikel.
Der Alkohol setzte aber auch seinem Magen zu; Darm und Bauchspeicheldrüse
meldeten sich. Seine Freundin Monika Weber, die ihm in den letzten Jahren eine
treue und hilfreiche Lebensgefährtin war, und seine besten Freunde versuchten,
ihm die Konsequenzen des übermässigen Schnapskonsums aufzuzeigen. Aber es begann
der teuflische Kreislauf: Fernet Branca gegen die Schmerzen. Die Schmerzen aber
wurden grösser, weil der Alkohol seinen Magen zerstörte. Im letzten Lebensjahr
war der Gesundheitszustand von Gody so schlecht, dass er seine Artikel Monika
zur Abschrift diktieren musste. Und als ihm der neue «Anzeiger von Uster» keine
Aufträge mehr erteilte, starb in ihm der letzte Lebenswille. Gody hat intensiv
gelebt, zu intensiv vielleicht. Er hat viele Momente tiefer empfunden als
andere, und er hat die Geschichten anderer Menschen zu seinen eigenen gemacht
und ihnen einen Namen gegeben.
Irgendwie symbolisch ging auch die «Ära AvU» zu
Ende. Im Sommer 1996 übernahm der «Zürcher Oberländer» die Aktienmehrheit des
«Anzeigers von Uster». Am 20. Mai 1997 starb Gody Bodmer im Krankenheim in
Uster, und damit starb auch ein Teil der Ustermer Lokalszene. Deine träfen
Kommentare, lieber Gody, deine stimmigen Reportagen, deine Weihnachtsgeschichten
und deine tiefsinnigen Lieder vermissen wir. Schade, dass du gehen musstest.
Schade, dass wir im Alltagsstress zu wenig Zeit füreinander hatten. Schade, dass
ich erst heute Zeit habe, dir zuzuhören.
Raymond Diebold-Schmid, 1998
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